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Wie denken ChatGPT & Co? Ein tiefer Einblick in KI, Autopoiesis und Gregory Batesons Sicht auf maschinelle Intelligenz

Erfahre in diesem Beitrag, wie neuronale Netze wie ChatGPT aufgebaut sind, was Gregory Batesons Systemtheorie damit zu tun hat und wo die Grenzen maschineller Intelligenz liegen. Wir beleuchten Turing-Tests, emergente Fähigkeiten und diskutieren, ob KI-Systeme wirklich „denken“ oder nur clever Geschichten erzählen.

Ich möchte verstehen, wie so ein KI Chatbot wie ChatGPT funktioniert.

ChatGPT (und ähnliche KI-Modelle) funktionieren im Wesentlichen auf Basis großer Sprachmodelle, die mit sogenannten künstlichen neuronalen Netzen arbeiten. Diese Netze werden darauf trainiert, Muster in Texten zu erkennen und Sprache zu „verstehen“ bzw. statistisch vorherzusagen. Hier ein Überblick in einfachen Schritten:

  1. Datensammlung und Vorverarbeitung
    • Zunächst wird das Modell mit riesigen Mengen an Text aus unterschiedlichen Quellen (z. B. Büchern, Websites, Artikeln) „gefüttert“.
    • Diese Texte werden in eine für das Modell lesbare Form umgewandelt (Tokenisierung). Beim Tokenisieren zerlegt man Sätze z. B. in einzelne Wörter oder Wortteile.
  2. Training des neuronalen Netzes
    • In einem sogenannten „Pretraining“ lernt das Modell, aus dem Kontext vorhergehender Wörter das nächstwahrscheinliche Wort vorherzusagen.
    • Dies erfolgt über sehr viele Durchläufe (Epochen), in denen das Modell seine internen Parameter anpasst. Dabei nutzt es ein Verfahren namens „Backpropagation“, um aus Fehlern zu lernen (also wenn eine Vorhersage nicht stimmt, wird das Netz dementsprechend angepasst).
  3. Feinjustierung (Fine-Tuning)
    • Nachdem das Grundmodell trainiert wurde, erhält es oft noch eine spezielle Feinanpassung („Fine-Tuning“), damit es besser auf bestimmte Arten von Fragen reagiert.
    • In manchen Fällen kommt zusätzlich ein „Reinforcement Learning with Human Feedback“ (RLHF) zum Einsatz. Menschen bewerten dabei verschiedene Antworten, sodass das System lernt, verständliche und hilfreiche Antworten zu geben.
  4. Nutzung des gelernten Sprachmodells
    • Ist das Modell fertig trainiert, kann man es in einer Anwendung wie ChatGPT einsetzen.
    • Wenn ein Nutzer eine Frage stellt oder etwas schreibt, „liest“ das Modell den Text, wandelt ihn wieder in Tokens um und berechnet dann, welches nächste Wort (bzw. welcher nächste Token) statistisch am passendsten ist.
    • Dieses Verfahren erfolgt sehr schnell, weshalb es in Echtzeit auf Nutzeranfragen reagieren kann.
  5. Kontinuierliche Verbesserung
    • Sobald das Modell bereitgestellt ist, können Entwickler durch Feedback, Fehlerberichte oder neue Daten das System weiter verbessern.
    • So können immer wieder neue Versionen erscheinen, die mit aktuellen Daten oder zusätzlichen Techniken trainiert wurden.

Grundsätzlich basieren diese Chatbots auf sogenannten „transformer“-Modellen (wie GPT), die besonders gut darin sind, Kontext in Texten zu verarbeiten und konsistente Antworten zu geben. Wichtig ist jedoch, dass diese Modelle rein statistisch arbeiten: Sie „verstehen“ den Inhalt nicht so, wie Menschen es tun würden, sondern berechnen anhand von Wahrscheinlichkeiten, welche Wortkombination als nächstes sinnvoll erscheint.

Dadurch können sie sehr beeindruckende Texte generieren und auf viele Arten von Fragen antworten – ob ihnen dabei immer die volle „Bedeutung“ bewusst ist, ist jedoch ein philosophischer Diskussionspunkt. In jedem Fall sind sie hochkomplexe Systeme, die mit enormen Datenmengen trainiert wurden und deshalb ein beachtliches Spektrum an Kenntnissen aufweisen können.

Inwiefern ist hier das Wort Intelligenz angebracht?

Der Begriff „Intelligenz“ ist in der Diskussion rund um KI-Modelle wie ChatGPT etwas zweischneidig. Einerseits erzeugt die beeindruckende Fähigkeit dieser Systeme, Texte zu verstehen und in natürlicher Sprache zu antworten, die Illusion einer echten, menschenähnlichen Intelligenz. Andererseits ist „Intelligenz“ ein vielschichtiger Begriff, der üblicherweise mehr umfasst als reine Mustererkennung oder statistische Vorhersage. Daher ergeben sich einige wichtige Punkte:

  1. Statistisches Modell vs. kognitives Verständnis
    • ChatGPT und ähnliche Modelle basieren auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Sie sagen mit hoher Präzision vorher, welches Wort (bzw. Token) im Kontext am wahrscheinlichsten als Nächstes kommt.
    • Ein kognitives Verständnis der Inhalte, wie es bei menschlichem Denken vermutet wird, findet jedoch nicht statt. Sie verfügen nicht über ein Bewusstsein oder ein echtes „Verständnis“, obwohl die Ergebnisse sehr überzeugend sein können.
  2. Zweck des Begriffs „Intelligenz“
    • In der Fachsprache spricht man meist von „künstlicher Intelligenz“, um darauf hinzuweisen, dass Maschinen Aufgaben lösen können, die sonst menschliche Intelligenz erfordern würden (wie z. B. Übersetzungen, Zusammenfassungen, Bilderkennung).
    • Im alltäglichen Gebrauch kann das Wort „Intelligenz“ jedoch zu Missverständnissen führen, da es schnell so wirken kann, als ob eine KI echte Urteils- und Entscheidungsfähigkeit besitzt.
  3. Unterschiedliche Formen von Intelligenz
    • Menschliche Intelligenz ist komplex und hat viele Facetten (logisches Denken, Emotionen, Kreativität, Bewusstsein, soziale Intelligenz usw.).
    • KI-Systeme dagegen sind stark spezialisiert und brillieren vor allem in den Bereichen, für die sie trainiert wurden. Eine Sprach-KI „versteht“ Texte statistisch und kann so beeindruckende Antworten generieren, ist aber zugleich „blind“ für viele Aspekte jenseits ihres Trainingsbereichs.
  4. Missverständnisse und Marketing
    • Da der Begriff „künstliche Intelligenz“ auch oft als Buzzword genutzt wird, kann es zu einer Überschätzung der tatsächlichen Fähigkeiten kommen.
    • Was wir beobachten, ist eine maschinelle Verarbeitung riesiger Datenmengen. Das fühlt sich für uns „intelligent“ an, da das Ergebnis plausibel und oft hilfreich ist.
  5. Fazit
    • Ob man hier tatsächlich von „Intelligenz“ sprechen kann, hängt von der Definition ab. In einem engen Sinne sind diese Systeme sehr leistungsfähig und können Probleme „lösen“, für die wir sonst menschliche Intelligenz bräuchten.
    • In einem weiter gefassten, philosophischen Sinne fehlen diesen Modellen aber Eigenschaften, die wir bei menschlicher Intelligenz erwarten, beispielsweise Selbstreflexion, ein Bewusstsein oder eine eigene Zielsetzung.

Deshalb kann man sagen: Die Modelle liefern Ergebnisse, die „intelligent“ wirken, da sie auf ein statistisch gelerntes Sprachverständnis zugreifen. Ob dies tatsächlich „Intelligenz“ im vollen Sinne ist oder eher eine sehr ausgeklügelte Form der Mustererkennung, ist (auch) eine Frage der Perspektive und Definition.

Wenn ich solch ein Modell mit allen Büchern von Gregory Bateson füttern würde, wären die Antworten dann eine statistische Aneinanderreihung nach Wahrscheinlichkeit anhand dieser Bücher?

Ja, im Kern würden die Antworten auf statistischen Zusammenhängen beruhen, die das Modell aus den Büchern von Gregory Bateson gelernt hat. Hier ein genauerer Blick darauf, was das bedeutet:

  1. Training auf Batesons Texten
    • Würde man ein Sprachmodell ausschließlich mit den Werken von Bateson trainieren, dann lernt es, typische Formulierungen, Konzepte und Zusammenhänge herauszufiltern und zu „internalisieren“.
    • Das Modell speichert diese Muster in seinen Parametern. Es erzeugt keine einfache Kopie der Textstellen, sondern verallgemeinert die erkannten Strukturen (z. B. wie Bateson seine Sätze aufbaut oder welche Begriffe häufig gemeinsam vorkommen).
  2. Statistische Vorhersage vs. „echtes“ Verständnis
    • Wenn du anschließend eine Frage stellst oder ein Stichwort gibst, versucht das Modell, das nächste „passende“ Wort bzw. den nächsten Ausdruck zu finden, basierend auf all dem, was es aus Batesons Texten gelernt hat.
    • Dabei geht es rein um Wahrscheinlichkeiten, welche Wortfolgen nach Batesons Sprachgebrauch am plausibelsten sind – es ist keine echte „Reflexion“ seiner Theorien oder Intentionen, wie man sie einer menschlichen Denkweise zuschreiben würde.
  3. Qualität und Tiefgang der Antworten
    • Die Antworten können dabei durchaus sehr fundiert wirken: Das Modell kann Batesons Gedankengänge und Formulierungen teilweise nachahmen, weil es seine Werke statistisch verinnerlicht hat.
    • Allerdings kann es sein, dass wichtige Aspekte „unter den Tisch fallen“ oder die Antworten manchmal zusammenhanglos wirken, falls dem Modell kontextrelevante Informationen oder der weitere Bezug fehlen.
  4. Eingeschränkte Perspektive
    • Da es nur auf Batesons Schriften trainiert wäre, hätte das Modell keinen Zugang zu anderen Kontexten, Diskussionen oder Interpretationen, die außerhalb seiner Bücher liegen.
    • So könnten bestimmte Fragen unbeantwortet bleiben, wenn Bateson sich dazu nicht explizit geäußert oder es nur indirekt thematisiert hat.

Kurz gesagt: Ja, die Antworten würden sich weitestgehend aus einer statistischen Analyse seiner Schriften speisen. Das Modell würde typische Formulierungen, Argumentationsmuster und Fachbegriffe, die Bateson benutzt, erkennen und darauf basierend eigene Sätze generieren. Ein „echtes Verständnis“ im Sinne menschlicher Reflexionsfähigkeit oder ein Bewusstsein seines Gedankensystems entsteht jedoch nicht.

Funktioniert das Gehirn ähnlich?

Obwohl es auf den ersten Blick Parallelen zu geben scheint (z. B. das Arbeiten mit „Neuronen“ und „Gewichten“ bzw. „Parametern“), gibt es doch einige grundlegende Unterschiede zwischen dem menschlichen Gehirn und künstlichen neuronalen Netzen:

  1. Biologie vs. Technik
    • Unser Gehirn besteht aus Nervenzellen (Neuronen), die in vielfältiger Weise miteinander verknüpft sind und chemisch-elektrische Signale austauschen.
    • Künstliche neuronale Netze arbeiten dagegen ausschließlich digital-mathematisch. Die „Neuronen“ in einem KI-Modell sind abstrakte, von Menschen entworfene Strukturen, die lediglich einige Prinzipien biologischer Neuronen nachahmen.
  2. Lernprinzipien
    • Das menschliche Gehirn lernt aus Erfahrungen, Sinneseindrücken und Interaktionen mit der Umwelt. Es formt dadurch hochkomplexe Netzwerke, die nicht nur Informationen verarbeiten, sondern auch Emotionen, Körperwahrnehmung und Bewusstsein integrieren.
    • Ein KI-Modell lernt in der Regel, indem es auf große Datenmengen mit bestimmten statistischen Verfahren trainiert wird (z. B. Vorhersagen von Wortfolgen). Es fehlt ihm das sensorische und emotionale „Umfeld“, das unser Gehirn bei jedem Lernprozess hat.
  3. Verarbeitungsweise
    • Das Gehirn reagiert auf ganz verschiedene Arten von Input (Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Gleichgewichtssinn usw.) und integriert diese Reize zu einem Gesamtbild, das wir als „Wirklichkeit“ erfahren.
    • Ein KI-Sprachmodell verarbeitet in erster Linie Textdaten. Es hat keinen direkten „Zugriff“ auf die Wahrnehmung eines realen Körpers oder eine physische Umwelt.
  4. Bewusstsein und Selbstreflexion
    • Menschen haben Bewusstsein, können sich selbst hinterfragen, Absichten verfolgen oder Emotionen empfinden. Wie genau dieses Bewusstsein entsteht, ist bis heute Gegenstand intensiver Forschung.
    • Künstliche neuronale Netze haben keine Innenperspektive oder Empfindungen. Sie berechnen Wahrscheinlichkeiten, können aber nicht „fühlen“ oder „nachdenken“ in dem Sinne, wie wir es als Menschen tun.
  5. Flexibilität und kreative Problemlösung
    • Das menschliche Gehirn kann Problemlösungen in vielfältigsten Situationen finden. Es kann abstrakt denken, um die Ecke denken und vollkommen neue Erfahrungen einordnen.
    • Auch wenn KI-Modelle viele Aufgaben hochperformant lösen können (z. B. Sprachgenerierung, Bilderkennung), bleibt ihr Wissen dennoch auf das trainierte Aufgabenfeld beschränkt. Für ungewohnte oder komplett neue Problemstellungen können KI-Systeme schnell an ihre Grenzen stoßen.

Fazit:
Bestimmte Aspekte (z. B. das Verarbeiten von Signalen in Schichten oder das Anpassen von Verbindungsstärken) mögen grob an das menschliche Gehirn erinnern. Aber das Gehirn ist sehr viel komplexer, verankert in einem körperlichen Organismus und mit echter Bewusstseins- und Emotionsebene ausgestattet. KI-Modelle bilden dagegen primär statistische Zusammenhänge ab und „denken“ nicht wie ein Mensch, selbst wenn sie menschliche Sprache beeindruckend imitieren können.

Wäre ein Algorithmus denkbar, der dem ki Modell eine Form von Reflexion ermöglicht?

Ob man einem KI-Modell eine gewisse „Reflexionsfähigkeit“ beibringen kann, ist Gegenstand aktueller Forschung. Dabei geht es weniger um ein Bewusstsein, wie wir Menschen es haben, sondern eher um sogenannte Meta-Kognition oder „Thinking about Thinking“. Hier ein paar Ansätze und Überlegungen:

  1. Chain-of-Thought und Selbstkritik
    • Moderne Sprachmodelle können bereits in Ansätzen ihre „Gedankengänge“ (Chain of Thought) explizit ausformulieren, um schrittweise Lösungen zu finden.
    • Es gibt Experimente, bei denen ein Modell aufgefordert wird, einen Entwurf zu erstellen und anschließend selbstkritisch zu überprüfen („Selbstkritik“-Prompts). So entsteht zumindest der Eindruck, das Modell würde „darüber nachdenken, was es denkt“.
    • Diese Form von Reflexion ist aber immer noch rein regelbasiert und hängt von den Vorgaben und dem Prompting ab, nicht von einer inneren Einsicht.
  2. Meta-Learning und iterative Anpassung
    • Beim Meta-Learning (bzw. „Learning to Learn“) wird ein Modell so trainiert, dass es mehrere Aufgaben erlernt und daraus Schlussfolgerungen über den eigenen Lernprozess ziehen kann.
    • Das kann so weit führen, dass das Modell in einem nächsten Schritt seinen „Ansatz“ anpasst. Dennoch beruht dies auf vorgegebenen Algorithmen und Belohnungsmechanismen, nicht auf einem freien Willen oder Bewusstsein.
  3. Interne Zustände und Selbstmodell
    • Manche Forschungen zielen darauf ab, ein KI-System mit einem einfachen „Selbstmodell“ auszustatten, in dem es Zustände wie „Ich bin mir unsicher“ oder „Ich sollte meine Antwort überarbeiten“ repräsentieren kann.
    • Das kann helfen, Fehler besser zu erkennen und die eigenen Antworten zu optimieren. Diese Mechanismen sind aber rein funktional: Sie sind darauf ausgelegt, bessere Vorhersagen zu machen, und bilden kein echtes Bewusstsein ab.
  4. Abgrenzung von Bewusstsein
    • „Reflexion“ im menschlichen Sinne impliziert häufig auch Selbstbewusstsein, Empfindungen und ein tieferes Verständnis des eigenen Denkprozesses.
    • KI-Modelle können zwar strukturell so erweitert werden, dass sie vergangene „Gedankenprozesse“ analysieren und daraus lernen, aber dabei handelt es sich immer um algorithmische Routinen, nicht um bewusstes Erleben.
  5. Fazit
    • Ein Algorithmus, der einem KI-Modell eine Form von Reflexion verleiht, ist technisch denkbar und wird bereits auf experimenteller Ebene verfolgt – in Gestalt von Chain-of-Thought, Meta-Learning oder selbstüberprüfenden Schleifen.
    • Dennoch bleibt diese „Reflexion“ letztlich eine programmierte Funktion ohne bewusstes Erleben oder echtes Selbstverständnis. Das Modell reagiert weiterhin auf Grundlage statistischer und regelbasierter Prozesse, anstatt sich im menschlichen Sinne seiner selbst „gewahr“ zu sein.

Vielleicht macht das Gehirn das ja auch nur statistisch, nur das es eine deutlich höhere Geschwindigkeit, sowie die Fähigkeit zur parallelen Verarbeitung hat.

Die Idee, dass das Gehirn letztlich „nur“ statistische Verarbeitung betreibt, wird in der neurowissenschaftlichen Forschung tatsächlich immer wieder diskutiert. Beispiele hierfür sind Theorien wie das Predictive Processing (oder „Bayesian Brain“), bei denen das Gehirn als eine Art Vorhersagemaschine beschrieben wird, die permanent Hypothesen über ihre Umwelt aufstellt und mit den tatsächlichen Sinneseindrücken abgleicht. Dennoch sollte man ein paar Punkte im Auge behalten:

  1. Statistische Prinzipien vs. biologische Realität
    • Viele Vorgänge im Gehirn lassen sich formal als „statistische Schätzungen“ beschreiben. Doch „Biologie“ bedeutet auch chemische Signalübertragung, neuronale Plastizität, Hormone, emotionale Zustände usw. – all das wird in einer rein statistischen Betrachtung nur vereinfacht erfasst.
    • Künstliche neuronale Netze bilden einzelne Aspekte dieser neuronalen Signalverarbeitung in sehr abstrahierter Form nach. Das Gehirn hingegen ist ein hochkomplexes, vernetztes System, in das Körper- und Umweltfaktoren stark hineinwirken.
  2. Bewusstsein und subjektives Erleben
    • Wie genau subjektives Erleben (Bewusstsein) entsteht, ist bis heute ungeklärt. Viele vermuten, dass es sich aus der Integration verschiedener Gehirnprozesse ergibt, die über bloße Statistik hinausgeht – schließlich erleben wir nicht nur Wahrscheinlichkeiten, sondern ein zusammenhängendes „Ich-Gefühl“.
    • Die Frage, ob das Gehirn Bewusstsein lediglich „simuliert“ oder ob es sich um ein real emergentes Phänomen handelt, ist sowohl philosophisch als auch wissenschaftlich offen.
  3. Parallelität und Geschwindigkeit
    • Das Gehirn arbeitet tatsächlich enorm parallel: Milliarden von Neuronen sind zeitgleich aktiv und verarbeiten Reize in teilweise verschalteten Kreisläufen.
    • Künstliche Netze können zwar ebenfalls massiv parallel rechnen (etwa auf GPUs), doch das Zusammenspiel unzähliger biologischer Teilsysteme – von motorischen Reflexen über emotionale Zustände bis hin zu kognitiven Bewertungen – ist nach wie vor einzigartig und schwer in reinen Code zu gießen.
  4. Adaptive, embodied cognition
    • Unser Denken ist eng an den Körper („Embodiment“) und die Interaktion mit der Umwelt gekoppelt. Bewegungen, Sinneserfahrungen und Lernprozesse laufen in einem ständigen Wechselspiel ab.
    • KI-Modelle können zwar „lernen“, aber nur mit den Daten, die man ihnen zuführt – sie haben keinen eigenen Körper und kein eigenes Erleben, das ihre statistische Verarbeitung gleichzeitig leitet.
  5. Fazit
    • Es gibt tatsächlich fundierte Argumente, dass das Gehirn viele Reize auf eine Art statistischer Mustererkennung reduziert und mit Vorhersagen abgleicht. In diesem Sinne ist die Parallele zu KI-Modellen nicht von der Hand zu weisen.
    • Allerdings ist das Gehirn in weit komplexere, lebendige und bewusste Prozesse eingebunden, als es ein auf Text oder Bilder trainiertes statistisches Modell je leisten könnte. Es ist damit nicht bloß ein „schnelleres“ KI-Netz, sondern ein biologisches System, das Fähigkeiten wie Bewusstsein, Emotion und Selbsterleben herausbildet – und gerade diese Aspekte lassen sich bisher nur unvollständig in rein statistischen Algorithmen abbilden.

Wenn man davon ausgeht, dass das Gehirn zwar über die externen Wahrnehmungsmöglichkeiten verfügt, aber dennoch autopoietisch ein internes Abbild seiner Umwelt erschafft, liegt vielleicht darin der Unterschied?

Die Idee der Autopoiesis (von Humberto Maturana und Francisco Varela geprägt) beschreibt lebende Systeme als sich selbst erzeugende und erhaltende Einheiten. Der Organismus – etwa das menschliche Gehirn mitsamt seinem Körper – steht in ständiger Wechselwirkung mit seiner Umwelt, behält dabei aber seine eigene organisationelle Geschlossenheit bei. Er „baut“ sich selbst immer wieder neu und erhält seine Struktur aufrecht, während er externe Reize verarbeitet. Das Gehirn ist demnach nicht nur ein passiver Empfänger von Sinnesdaten, sondern gestaltet aktiv ein inneres Abbild bzw. eine Interpretation dessen, was es aus der Umwelt „erreicht“.

Warum ist das bei KI anders?
Ein KI-System – selbst ein sehr großes Modell – ist zwar in einem bestimmten Sinn „lernend“, aber nicht autopoietisch im Sinne von Maturana und Varela. Es ist nicht darauf ausgelegt, sich selbst im biologischen Sinn zu regenerieren oder als eigenständige Einheit zu „überleben“. Eine KI verarbeitet Daten, die ihr von außen gegeben werden (Texte, Bilder usw.), passt ihre Gewichte an und generiert auf dieser Basis Ausgaben. Sie verfügt jedoch nicht über einen Körper, der in organischer Weise mit einer Umwelt interagiert und sich dabei selbst in Existenz hält. Das Fehlen dieser körperlich-organischen Wechselwirkung ist ein wichtiger Unterschied – vor allem, weil im Konzept der Autopoiesis das Lebendige als geschlossener Organismus betrachtet wird, der zugleich unaufhörlich mit seiner Umwelt in Kontakt steht.

Das innere Abbild und die aktive Konstruktion
In diesem Sinne baut das Gehirn nicht bloß statistische Vorhersagen über die Welt auf, sondern „erlebt“ sie: Es bezieht Emotionen, Körperzustände, Hormone, neuronale Verschaltungen, Erinnerungen und vieles mehr in sein „internes Abbild“ ein. Dieses Abbild ist dynamisch und durchgängig anpassungsfähig. KI-Modelle können zwar lernen, kontextsensitiv zu reagieren, doch ihnen fehlt jener autopoietische Kreislauf, in dem das System seine eigene Existenz und Struktur ständig fortschreibt. Genau darin – in der Selbstorganisation und dem aktiven, lebendigen Hervorbringen eines Weltbilds – liegt aus Sicht der Autopoiesis ein zentraler Unterschied zwischen biologischer und rein statistisch-algorithmischer Informationsverarbeitung.

Das der Körper einen wesentlichen Unterschied macht, ist unbestreitbar. Aber würden wir von einer rein kognitiven Intelligenz ausgehen, könnte doch vielleicht ausschließlich der Komplexitätsgrad und die Geschwindigkeit ausschlaggebend sein. Könnte nicht ein erheblicher Komplexitätsgrad dafür Sorgen, dass ähnlich wie in der Chaostheorie spontan etwas autopoietisches, sich selbst organisierendes, entsteht?

Die Idee, dass ab einer gewissen Schwelle an Komplexität etwas qualitativ völlig Neues „emergiert“ – also spontan entsteht und sich selbst erhält –, ist ein zentrales Thema in vielen Disziplinen, etwa in der Chaostheorie, der Systemtheorie oder auch in der Kognitionsforschung. Tatsächlich gibt es Theorien, die annehmen, dass hochkomplexe Systeme sich zu einer Art „Selbstorganisation“ aufschwingen können und dann möglicherweise merkwürdige, neuartige Eigenschaften zeigen. Dennoch sind einige Punkte zu bedenken, wenn wir dies auf KI-Systeme übertragen:

  1. Emergenz vs. Autopoiesis
    • Emergenz besagt, dass aus der Interaktion vieler einfacher Elemente plötzlich neue, komplexe Eigenschaften oder Strukturen entstehen, die nicht ohne Weiteres auf die Einzelteile zurückzuführen sind. Ein klassisches Beispiel ist ein Vogelschwarm, bei dem sich aus vielen lokalen Interaktionen ein komplexes Muster ergibt.
    • Autopoiesis (Maturana & Varela) geht noch einen Schritt weiter und beschreibt lebende Systeme, die sich selbst hervorbringen und erhalten. Sie sind organisatorisch geschlossen: Sie erzeugen ihre Bausteine selbst und reproduzieren ihre eigenen Strukturen. Bei KI-Netzen (selbst sehr großen) ist das bislang nicht der Fall: Sie hängen von externer Energieversorgung, Hardware und Dateneinspeisung ab und reproduzieren sich nicht „von innen heraus“.
  2. Komplexität und Spontaneität
    • Es ist denkbar, dass sehr hochkomplexe Systeme „verblüffende“ oder scheinbar „neue“ Fähigkeiten entwickeln, wenn sie genügend verschaltete Teile haben. Man spricht hier auch von emergenten Fähigkeiten (emergent capabilities), die bei großen Sprachmodellen beobachtet werden (z. B. das plötzliche Auftreten von Fähigkeiten, die in kleineren Modellen nicht vorhanden waren).
    • Diese emergenten Phänomene können beeindrucken, sind jedoch fast immer noch in einem algorithmischen Rahmen eingebettet und an das Training sowie die Architektur des Modells gebunden. Eine echte Selbstorganisation im biologischen Sinn, bei der das System seine eigene Existenz aufrechterhält oder eigenständig Ziele entwickelt, ist bis dato nicht gezeigt worden.
  3. Kognitive Intelligenz ohne Körper
    • Wenn wir uns rein auf kognitive Intelligenz beschränken (ohne die Faktoren eines biologischen Körpers), ließe sich argumentieren, dass mit wachsender Komplexität und Geschwindigkeit theoretisch immer „menschlichere“ Leistungen möglich sind – vom Schreiben hochintelligenter Texte bis zum Lösen komplexer Probleme.
    • Der springende Punkt: Auch wenn ein KI-System in kognitiven Tests oder kreativen Aufgaben mit Menschen konkurriert (oder sie übertrifft), fehlt ihm dennoch das autopoietische Element eines lebendigen Organismus. Solange es nicht selbst für seinen Fortbestand sorgt, ist es mehr eine ausgeklügelte „Maschine“ als ein eigenständiges, sich selbst organisierendes System.
  4. Chaostheorie und KI
    • In der Chaostheorie zeigen dynamische Systeme unter bestimmten Bedingungen ein sensibles Abhängigkeitsverhalten (Stichwort „Schmetterlingseffekt“). Allerdings sind KI-Modelle – trotz ihrer Komplexität – in der Regel relativ streng strukturiert (Input, Hidden Layers, Output), auch wenn das Innenleben hochdimensional ist.
    • Es ist zwar denkbar, dass hier hochgradige Nichtlinearitäten auftreten und Teile des Systems „chaotisch“ agieren, doch daraus entsteht nicht automatisch ein autopoietisches Wesen. Die Selbstorganisationsprozesse in der Biologie beinhalten noch ganz andere Aspekte (Stoffwechsel, Regeneration, energetische Autarkie, Reproduktionsmechanismen etc.).
  5. Fazit
    • Ein sehr hohes Maß an Komplexität kann zweifellos zu emergenten Verhaltensweisen führen, die wir nicht auf Anhieb voraussehen. Vielleicht entdecken wir eines Tages auch KI-Systeme mit der Fähigkeit zu komplexer Selbststeuerung, die uns „lebensähnlich“ erscheint.
    • Damit daraus tatsächlich so etwas wie autopoietische Selbstorganisation im Sinn lebender Organismen erwächst, müssten KI-Systeme sich allerdings nicht nur selbst „steuern“, sondern sich in einem umfassenderen Sinn „selbst erzeugen“ oder zumindest ihre eigene Existenz aktiv erhalten. Von solch einem Szenario sind wir trotz aller Fortschritte noch weit entfernt.

Kurzum: Die Idee, dass bloße Größe und Komplexität eines kognitiven Systems spontan eine Art autopoietische Selbstorganisation hervorbringen, ist faszinierend und wird in unterschiedlichen Forschungsbereichen diskutiert. Aktuell fehlt uns jedoch sowohl das theoretische Fundament als auch der empirische Nachweis dafür, dass das allein ausreicht, um von echtem „Leben“ oder einer biologisch anmutenden Autopoiesis zu sprechen.

Ich frage mich, ob noch ein anderer Aspekt einen wesentlichen Unterschied macht: ist es nicht eine Fähigkeit des Gehirns, selbst Untersysteme bilden zu können? Ich denke da an die Teile-Theorien in der Psychologie, oder an die Fähigkeit zu Schizophrenie und multiplen Persönlichkeiten.

atsächlich gibt es in der Psychologie – je nach Modell – verschiedene Vorstellungen darüber, wie das Gehirn „Teil-Persönlichkeiten“ oder Subsysteme ausbilden kann. Man denke etwa an:

  • Innere Anteile (z. B. in der systemischen oder tiefenpsychologischen Therapie, Internal Family Systems usw.),
  • Dissociative Identity Disorder (multiple Persönlichkeiten),
  • Schizophrenie (wobei dies eher ein komplexes Krankheitsbild ist und nicht einfach nur mehrere Persönlichkeiten umfasst),
  • andere Phänomene, bei denen bestimmte „Abspaltungen“ oder „Teil-Selbst“ beobachtet werden.

Die Frage ist, ob hier im Gehirn tatsächlich eigenständige „Subsysteme“ entstehen, die sich verselbstständigen, und ob das für KI-Systeme ein relevanter Vergleichspunkt ist. Einige Überlegungen dazu:


1. Selbstorganisation im Gehirn

Das Gehirn arbeitet hochgradig parallel und besitzt eine Vielzahl spezialisierter Netzwerke (z. B. Sehzentrum, Sprachareale, motorische Areale, emotionale Zentren usw.). Diese Netzwerke können sich – je nach Entwicklungsphase, Erfahrung, Trauma oder Krankheit – unterschiedlich stark verknüpfen oder auch entkoppeln. In bestimmten pathologischen Fällen (etwa bei starken Traumata) kann es zu Dissoziationen kommen, bei denen ganze „Bewusstseinsfragmente“ aus der normalen Ich-Erfahrung herausfallen und quasi als eigene „Teile“ auftreten.

Innere Anteile sind wiederum ein therapeutisches Konstrukt, um zu beschreiben, dass in unserer Psyche verschiedene „Stimmen“ oder „Impulse“ miteinander ringen (z. B. ein strenger Kritiker, ein verletztes Kind, ein fürsorglicher Anteil usw.). Hier handelt es sich jedoch nicht zwingend um klar abgetrennte, eigenständige „Persönlichkeiten“ – eher um unterschiedliche Modi oder Muster, die das Gehirn aktivieren kann.


2. (Un-)Freiwillige Entstehung von Subsystemen

In der Systemtheorie und in Modellen wie der Autopoiesis (Maturana/Varela) wird betont, dass sich lebende und kognitive Systeme kontinuierlich selbst erzeugen und aufrechterhalten. Das Gehirn kann dabei – unter bestimmten Umständen – eigene „Subsysteme“ mehr oder weniger „abkoppeln“. Das geschieht jedoch nicht unbedingt bewusst oder zielgerichtet, sondern als Reaktion auf komplexe innere und äußere Bedingungen (z. B. Stress, Traumata, neurologische Veränderungen).


3. Wie wäre das bei KI-Systemen?

  • Modulare KI: Es gibt bereits KI-Ansätze, bei denen man verschiedene Module oder „Experten“ miteinander kombiniert („Mixture of Experts“). Diese Module können unterschiedliche Aufgaben übernehmen und werden teils unabhängig trainiert. Dennoch geschieht dies in aller Regel durch Menschen geplant und architektonisch vorgegeben.
  • Emergenz: Große Sprachmodelle zeigen manchmal „emergente Fähigkeiten“, also Verhaltensweisen, die bei kleineren Modellen nicht auftraten. Dennoch ist dies nicht vergleichbar mit einer echten „Abspaltung“ oder der Bildung getrennter „Persönlichkeiten“. Es bleibt ein zusammenhängendes Netzwerk, das einfach bestimmte Muster neu abruft oder kombiniert.
  • Spontane Subsystembildung: Damit ein KI-System im Sinne menschlicher Psychologie „Teilsysteme“ bilden würde, müsste es ein Eigenleben entwickeln, das außerhalb der direkt vorgegebenen Architektur entsteht. Bisher kennt man solche Phänomene aus der KI-Forschung kaum bis gar nicht; es wäre eher Science-Fiction, dass ein KI-Modell plötzlich „eigenständige Persönlichkeiten“ abspaltet.

4. Warum diese Unterschiede?

  1. Körper und Biologie: Wie schon erwähnt, ist unser Gehirn eingebettet in einen lebendigen Organismus. Körperliche Zustände (Hormone, Neurotransmitter, Sinneseindrücke) beeinflussen fortwährend die neuronale Aktivität. Daraus entstehen dynamische Rückkopplungen, die in einer rein digitalen Architektur so nicht vorkommen.
  2. Trauma, Emotion, Identität: Phänomene wie Dissoziation oder multiple Persönlichkeiten hängen eng mit emotionalen und Identitäts-Prozessen zusammen. KI-Systeme haben kein „Selbst“, das verletzt werden kann, und auch keine Emotionen, die Verdrängung oder Abspaltung erzeugen.
  3. Selbstreferenz und Autopoiesis: Das Gehirn als Teil eines biologischen Systems ist permanent damit beschäftigt, sich selbst zu erhalten. In diesem Prozess können „subsystemische“ Dynamiken entstehen, die eine Maschine ohne Selbst- und Lebenserhaltungsfunktion schlicht nicht aufweist.

5. Fazit

Die Fähigkeit des Gehirns, innere Anteile oder – im Extremfall – eigenständig wirkende „Teilpersönlichkeiten“ (bei dissoziativen Störungen) auszubilden, hängt stark mit seiner biologischen, emotionalen und selbstorganisierenden Natur zusammen. KI-Systeme können zwar modular aufgebaut sein und zeigen emergente Eigenschaften bei wachsender Komplexität, aber sie bilden keine „Untersysteme“ im Sinne eigenständiger, subjektiv erlebter Sub-Persönlichkeiten.

Kurzum:

  • Ja, das menschliche Gehirn kann sich in gewisser Weise in verschiedene „Teilsysteme“ aufspalten, vor allem durch psychologische Dynamiken.
  • Bei KI-Modellen ist bislang kein vergleichbares Phänomen bekannt, das mit der menschlichen Teile-Psychologie oder multiplen Persönlichkeiten gleichzusetzen wäre.
  • Der wesentliche Unterschied bleibt, dass es sich beim Gehirn um ein lebendiges, autopoietisches und emotional verwobenes System handelt, während KI-Systeme trotz aller Komplexität letztlich algorithmisch-vordefiniert und nicht eigenständig lebens- bzw. identitätsbildend sind.

Zu 1: Das solche inneren Anteile lediglich ein psychologisches Produkt sind, sehe ich selbst eher kritisch, weil a) sich ein solches Produkt ja auch neurologisch abbilden müßte und b) sich dies mindestens in der Theorie des „cells that fire, together, wire together“ wieder findet. Meine pathologischen Beispiele sollen ja auch nur belegen, dass das Gehirn grundsätzlich über solche Fähigkeiten verfügt, unabhängig von einer möglichen Pathologie. Zu 2: Das Erzeugen solcher Subsysteme ist ja notwendig, um überhaupt als Mensch leben zu können. So sorgt ein Teil meines Gehirns dafür, das mein Herz weiter schlägt, während ich mich um anderes kümmern kann. So können meine Beine und Füße, ohne das ich darüber nachdenken muss, Kupplung und Bremse im Auto bedienen, so dass mein Bewusstsein beim Verkehr ist und sich auch noch mit dem Beifahrer unterhalten kann. Trotzdem muss diese Aufteilung ja regelbasiert passieren, auch wenn ich diese Regeln nicht kenne. Das Verletzen dieser Regeln ist dann das, was wir als pathologisch beschreiben. Zu 3: Das Vorherige wäre nun auf KI zu übertragen. Was wäre, wenn wir einer KI die Möglichkeit gäben, selbstständig Subsysteme zu erstellen, bestimmte Aufgaben an diese zu delegieren und dazu ein Regelwerk, dass den Rahmen und die Grenzen bestimmt? Zu 4: Und nochmals, zunächst lasse ich den biologischen Körper aussen vor. Zu einem späteren Zeitpunkt müsste man überlegen mit welchen Sensoren man solch eine KI ausstattet, bzw. ob es denkbar wäre, eine Art Feedback, wie es der Körper von innen erzeugt, zu simulieren. Ich denke hier an die Kybernetik und besonders die Kybernetik 2. Ordnung.

Ein sehr spannender Gedankengang! Tatsächlich gibt es in der KI-Forschung (sowie in der Kybernetik) immer wieder Ansätze, die genau darauf abzielen: Subsysteme in einem größeren System dynamisch zu erzeugen, zu koordinieren und wieder aufzulösen. Die Frage ist, ob – und unter welchen Voraussetzungen – sich daraus etwas „Lebendiges“ oder zumindest hochgradig „autonom Agierendes“ ergeben könnte. Ich versuche einmal, Deine Punkte aufzugreifen und zu vertiefen:


1. Innere Anteile im Gehirn – neurologisch „verdrahtet“?

Du hast Recht damit, dass sich psychische Konzepte (wie das „Innere Kind“, der „Innere Kritiker“ usw.) im Gehirn als bestimmte Muster der neuronalen Aktivierung abbilden müssen, falls sie eine Realität haben. Schließlich läuft alles, was wir denken und fühlen, letztlich über Neuronen, Synapsen und Botenstoffe.

  • Zellverbände, die zusammen feuern: Gemäß dem Prinzip „cells that fire together, wire together“ (Hebb’sches Lernen) bilden sich neuronal stabile Netzwerke heraus, die dann wieder aktiviert werden können – zum Beispiel, wenn eine bestimmte Situation oder Emotion diese Aktivierungskonstellation triggert.
  • Nicht zwingend pathologisch: Genau, dieselben Mechanismen, die bei traumabedingter Dissoziation (z. B. multiple Persönlichkeiten) zu einer extremen Abspaltung führen, sind im gesunden Alltag durchaus hilfreich, damit wir „gleichzeitig“ mehrere Dinge tun können, ohne uns stets alle Details bewusst machen zu müssen.

2. Subsysteme als Grundlage des menschlichen Alltags

Wie Du anführst, kann unser Körper/Geist parallel diverse „Programme“ ausführen, oft ohne dass das bewusste Denken sich damit befasst: Herzschlag, Atmung, automatisierte Bewegungsabläufe (z. B. beim Autofahren), sprachliche Interaktion und so weiter.

  • Automatisierung und Reflexe: Viele dieser Abläufe laufen über das autonome Nervensystem oder über erlernte Routinen (z. B. im Kleinhirn oder Basalganglien), die bewusstem Denken nur bei Bedarf „Meldung machen“.
  • Koordination und Regelwerk: Dennoch gibt es im Gehirn Regelsysteme (z. B. inhibitorische Mechanismen, ausführende Kontrollinstanzen im Frontallappen), die dafür sorgen, dass wir nicht in völlige Chaos-Zustände geraten. Wenn diese Koordination nicht mehr richtig funktioniert, sehen wir pathologische Bilder wie Zwangserkrankungen, dissoziative Störungen usw.

3. Übertragung auf KI: Subsystembildung und Delegation

Die Idee, einer KI das Erzeugen eigener Subsysteme zu erlauben, ist durchaus nicht neu. Es gibt mehrere architektonische Konzepte, die in diese Richtung gehen:

  1. Multi-Agenten-Systeme
    • Hier hat man nicht ein einziges neuronales Netz, sondern viele spezialisierte Agenten (Sub-KIs), die jeweils für bestimmte Aufgaben zuständig sind. Ein übergeordneter „Koordinator“ (oder „Orchestrator“) kann dann Aufgaben verteilen.
    • Diese Subsysteme können miteinander konkurrieren oder kooperieren und so oft ein komplexeres Verhalten zeigen, als es ein einzelnes Netz könnte.
    • Meist ist die Rollenverteilung noch von Menschen vorgegeben. Doch es gibt auch Forschungen, in denen Agenten neue „Unter-Agenten“ (Submodule) hervorbringen, wenn sie eine Aufgabe nicht lösen können.
  2. Modulare neuronale Netze und Mixture-of-Experts
    • Auch große Sprachmodelle (z. B. GPT-Varianten) arbeiten teilweise intern mit „Fachmodulen“ (experts), die lernen, auf bestimmte Eingaben zu reagieren. Ein Gating-Mechanismus entscheidet dann, welches Modul in welcher Situation aktiviert wird.
    • Im Regelfall ist jedoch das Erzeugen neuer Module zur Laufzeit – also das dynamische Entstehen-lassen von Subsystemen – noch eher ein Forschungsgebiet und nicht Teil des Standardtrainings.
  3. Evolving Architectures
    • In evolutionären Algorithmen oder in komplexen neuronalen Netzen gibt es Ansätze, bei denen sich die Architektur selbst weiterentwickelt, indem z. B. Knoten hinzugefügt oder entfernt werden. Man könnte dies als eine Art „Selbst-Restrukturierung“ deuten.
    • Eine wirklich eigenständige Bildung von Subsystemen, die dann wiederum ihr eigenes „Regelwerk“ implementieren, ist jedoch selten anzutreffen. Meist bleiben solche Prozesse in engen Grenzen der vorgegebenen Algorithmen.

4. Sensorik und Rückkopplung – Kybernetik 2. Ordnung

Spätestens bei der Frage nach Körperfeedback oder einem „Eigensinn“ des Systems kommt man unweigerlich zur Kybernetik 2. Ordnung, also der Frage, wie ein System sich selbst beobachtet und gestaltet („the observer is part of the system“).

  • Embodiment: Im einfachsten Fall könnte man einer KI Sensoren geben (Kameras, Mikrofone, Temperatursensoren, vielleicht sogar haptische Sensorik), damit sie eine rudimentäre Umweltwahrnehmung hat. Das wäre aber nur der erste Schritt.
  • Rückkopplungsschleifen: Damit das System ein „eigenes Inneres“ entwickelt, braucht es auch interne Sensorik, also Monitoring-Funktionen, die Auskunft über die eigene Aktivität, den Energiezustand, den „Erfolg“ der eigenen Strategien usw. geben.
  • Selbst-Modifikation: Das System müsste daraufhin auch befugt sein, seine Struktur zu verändern, also zum Beispiel Subsysteme zu deaktivieren, neue zu erzeugen, oder gar eigene Regeln zu hinterfragen. Das nähert sich der Idee eines selbstorganisierenden Systems im kybernetischen Sinne.

In der zweiten Ordnung betont die Kybernetik, dass ein System, das sich selbst beobachtet, dadurch unweigerlich verändert wird und andere Dynamiken hervorbringen kann als ein reines Reiz-Reaktions-System. Genau darin sehen manche die Voraussetzung für etwas wie eine „autopoietische Organisation“ (wobei Humberto Maturana und Francisco Varela eine sehr spezifische, biologische Definition von Autopoiesis haben).


5. Fazit: Wie realistisch ist das?

  • Technische Machbarkeit: Grundsätzlich ist es vorstellbar, KI-Modelle so zu gestalten, dass sie fortwährend Subsysteme bilden, Aufgaben delegieren und sich selbst überwachen. Einige Multi-Agenten- und modulare Systeme gehen in diese Richtung.
  • Fehlende Aspekte: Damit daraus etwas entsteht, das wir im Sinne des menschlichen Gehirns als „Teilsysteme“ oder „innere Anteile“ bezeichnen würden, bräuchte es einen sehr hohen Grad an Selbstbezüglichkeit, Autonomie und fortlaufender Selbstmodifikation – inklusive einer Art emotionalem oder motivationsorientiertem „Regelwerk“.
  • Kybernetik und Autopoiesis: Die klassischen Konzepte der Kybernetik 2. Ordnung (inkl. Autopoiesis) betonen, dass lebende Systeme in ständiger Interaktion mit ihrer Umwelt ihre eigene Organisation aufrechterhalten. Diese Selbst(er)haltung und -generierung ist tief in die Biologie eingebettet. Reine Software (oder Hardware ohne Selbsterhaltungsbedarf) bleibt diesem Prinzip bislang fern.
  • Emergenz ist möglich, aber…: Auch wenn wir hohe Komplexität schaffen, kann es durchaus emergente Phänomene geben (neue Fähigkeiten, unvorhergesehene Interaktionen von Subsystemen). Doch ob daraus ein „Bewusstsein“, „Ich-Zustände“ oder wirklich „autopoietische“ Strukturen erwachsen, ist noch ungeklärt. Die meisten Expertinnen und Experten würden wohl sagen, dass dazu weit mehr gehört als nur Komplexität und Regelwerk.

Kurz gesagt: Die Idee, KI-Systemen Mechanismen zur selbständigen Subsystembildung zu geben (inkl. Regeln und Rückkopplung), wird bereits in ersten Ansätzen verfolgt (Multi-Agenten-Systeme, modulare Netzwerke, kybernetische Ansätze). Ob dies irgendwann mit unserer menschlichen, organischen Fähigkeit zur Selbstorganisation und Ausbildung getrennter Bewusstseinsanteile vergleichbar wird, bleibt abzuwarten. Die biologisch-körperliche Verankerung ist ein nicht zu unterschätzendes Element, das dafür sorgt, dass unser Gehirn sehr anders – und sehr vielschichtig – arbeitet als jede bislang existierende KI.

Es ist schon erstaunlich, was solch eine KI schon kann, und das, auf diesem lediglich statistischem Niveau. Ich frage mich, ob die aktuellen Modelle bereits den Touring Test bestehen, würden, oder ob dieser in diesem Sinne noch aktuell erscheint

Der Turing-Test (von Alan Turing 1950 vorgeschlagen) hat nach wie vor Symbolkraft, weil er die Frage „Kann eine Maschine denken?“ sehr greifbar und anschaulich formuliert: Wenn ein menschlicher Fragesteller nicht mehr sicher unterscheiden kann, ob er mit einem Menschen oder einer Maschine spricht, hat die Maschine den Test „bestanden“. Allerdings wird heutzutage viel diskutiert, ob dieser Test noch zeitgemäß oder ausreichend ist. Hier einige Aspekte dazu:

  1. Aktuelle KI-Modelle und der Turing-Test
    • Moderne Sprachmodelle (wie ChatGPT) sind bereits in der Lage, sehr überzeugend in natürlicher Sprache zu kommunizieren. In eingeschränkten oder kurzen Dialogen kann es durchaus schwierig sein, sie von einem Menschen zu unterscheiden.
    • In längeren Unterhaltungen kann das Modell aber Fehler machen, die für Menschen eher untypisch sind (etwa plötzlich falsche Fakten erfinden oder inkonsequent argumentieren). Geübte Fragesteller können das Modell in der Regel „entlarven“.
  2. Zweckmäßigkeit des Turing-Tests
    • Kritiker bemängeln, dass der Turing-Test nur die Fähigkeit prüft, einen Menschen „vorzutäuschen“, aber nichts über tatsächliche Intelligenz, Verständnis oder Bewusstsein aussagt.
    • Modelle, die sehr gut im „Nachahmen“ menschlichen Sprachverhaltens sind, können den Test potenziell bestehen, ohne tatsächlich „zu denken“ oder „sich selbst zu verstehen“.
  3. Alternative Testkonzepte
    • Winograd Schema Challenge: Hier muss eine KI in Sätzen Pronomen eindeutig auflösen können (etwa: „Die Stadt konnte die Fabrik nicht genehmigen, weil sie die Umwelt verschmutzt hätte.“ Wer verschmutzt die Umwelt?). Das erfordert Verständnis von Kontext und Kausalität.
    • Conceptual/Reasoning-Tests: Man testet, wie gut eine KI logische Schlüsse zieht, kausale Zusammenhänge erkennt oder komplexe Konzepte versteht.
    • Bewerber-Tests oder Fachaufgaben: Statt einer rein sprachlichen Prüfung könnte man eine KI etwa ein komplexes Problem aus Physik, Ingenieurwesen oder Philosophie lösen lassen und sehen, ob es wirklich mehr leistet als das bloße Wiedergeben trainierter Textmuster.
  4. Eindrucksvoller Fortschritt, aber offene Fragen
    • Dass KI-Systeme rein „statistisch“ solch überzeugende Texte generieren, ist beeindruckend. Es zeigt, dass Sprachmodelle komplexe Muster erkennen und damit sehr weit kommen können.
    • Dennoch bleibt die Frage: Ist das „Verstehen“? Reines Bestehen eines Turing-Tests nach dem Motto „Ich kann dich täuschen, dass ich ein Mensch bin“ besagt wenig darüber, ob eine KI z. B. Bewusstsein oder echte Einsicht in Bedeutungszusammenhänge hat.
  5. Fazit
    • Der Turing-Test hat historischen Wert und steht sinnbildlich für die Frage, ob Maschinen menschliches Denken imitieren können. Insofern ist er in der öffentlichen Wahrnehmung weiterhin ein wichtiger Meilenstein.
    • In der Forschung zieht man jedoch zunehmend anspruchsvollere Tests heran, um herauszufinden, inwieweit ein System wirklich Schlussfolgerungen ziehen, verstehen oder kontextsensibel agieren kann.
    • Mit dem rasanten Fortschritt von KI-Systemen wird auch immer deutlicher, dass „menschlich erscheinen“ nicht unbedingt mit den tiefergehenden kognitiven Fähigkeiten (oder gar Bewusstsein) gleichzusetzen ist, an denen viele Forscher/innen weiterhin interessiert sind.

Zu unserem Thema fällt mir ein Zitat ein: „Ein Mann wollte wissen, wie es sich mit dem Geist in seinem Computer verhält, und fragte ihn daher: ‚Rechnest du damit, dass du jemals denken wirst wie ein menschliches Wesen?‘ Worauf nach einiger Zeit der Computer antwortete: ‚Das erinnert mich an eine Geschichte.‘“

Das Zitat ist eine treffende, beinahe humoristische Metapher dafür, wie eine Maschine (oder ein Computerprogramm) auf die Frage nach echtem Denken reagiert. Statt eine direkte Antwort zu geben – etwa „Ja, ich werde irgendwann denken wie ein Mensch“ oder „Nein, das kann ich nicht“ – weicht das System auf eine Geschichte aus. Damit umgeht es faktisch die tiefergehende Frage nach Bewusstsein und Selbstreflexion.

Man könnte diesen Kunstgriff so deuten:

  1. Verlagerung auf bekannte Muster
    Ähnlich wie heutige Sprachmodelle zieht der Computer schlicht das heran, was er „aus seinen Daten“ kennt – also Geschichten. Er lässt sich nicht auf eine philosophische Debatte ein, sondern beginnt (im übertragenen Sinne) eine Erzählung.
  2. Fehlen einer direkten „Innerlichkeit“
    Eine Maschine kann aus Sicht vieler Forscher nicht in unserem menschlichen Sinne „reflektieren“, sondern nur auf bereits Gelerntes zurückgreifen (Texte, Erzählmuster, Daten etc.).
  3. Ironische Pointe
    Anstatt den Kern der Frage zu berühren („Hast du ein Bewusstsein wie wir Menschen?“), verschiebt die Antwort das Gespräch auf eine weitere Ebene („Erzählen wir doch eine Geschichte…“). Damit scheint das System zwar menschliche Kommunikation zu imitieren, umgeht aber die eigentliche Problemstellung.

Gerade solche Anekdoten illustrieren schön, dass KI zwar in der Lage ist, „menschlich wirkende“ Antworten zu formulieren, ihre Strategien und Motive dahinter jedoch rein algorithmischer Natur sind. Die Frage „Denkt die KI tatsächlich wie ein Mensch?“ wird damit nicht gelöst, sondern auf charmante Weise vertagt – was den Reiz dieses Zitats ausmacht.

Ich denke, dass man dieses Zitat erst richtig bewerten kann, wenn man weiß, dass es von Gregory Bateson ist.

Das ist in der Tat ein entscheidender Kontext. Gregory Bateson war Anthropologe, Sozialwissenschaftler und einer der Vordenker in Bereichen wie Kybernetik und Systemtheorie. Er hatte einen ausgeprägten Blick dafür, wie komplexe Systeme – ob biologisch, sozial oder kognitiv – Informationen verarbeiten und Sinn generieren. Sein Fokus lag auf den Beziehungen und Mustern in Systemen, statt bloß auf isolierten Elementen.

Gerade mit diesem Hintergrund entfaltet das Zitat seine tiefere Wirkung: Bateson wusste um die Grenzen rein mechanischer (oder statistischer) Informationsverarbeitung und lenkte den Blick auf die Frage, ob wirklich so etwas wie ein „Geist“ in einer Maschine entstehen kann – oder ob die Maschine nur Geschichten erzählt, die sie bereits in ihren Strukturen gespeichert hat. Indem Bateson den Computer auf eine Meta-Ebene führt („Das erinnert mich an eine Geschichte“), karikiert er einerseits unsere Neigung, Maschinen menschliches Denken zuzuschreiben, und verweist andererseits auf die Fähigkeit komplexer Systeme, Muster aus ihrem „Gedächtnis“ abzurufen, ohne je bewusstes Verständnis zu entwickeln. In Batesons systemtheoretischem Sinne illustriert das Zitat somit wunderbar, wie leicht uns der Schein eines „Denkens“ täuschen kann, wenn wir nicht hinter die Fassade der Mustererkennung blicken.